Dienstag, 5. März 2019

Stillst du etwa immer noch???

Ja, warum denn nicht?!


Alle Mamas, die länger als ein paar Monate gestillt haben kenne diese Frage und vor allem diese abwertenden und erschrockenen Gesichtausdrücke, wenn sie sehen, dass nicht mehr das Neugeborene sondern das Kleinkind gestillt wird. 

Ich habe mir nie ein Zeitfenster gesetzt bis wann ich stillen werde. Bei meiner Tochter war ich damals noch viel zu jung und unerfahren, keine Ahnung von den Gesetzen gehabt, welche eine Stillende das Arbeitsleben leichter machen. Ebenfalls habe ich beim Stillen so viele Fehler gemacht, die uns die Stillzeit oft erschwert haben. Schweren Herzens versuche ich sie mit aller Macht bis zum 6. Monat abzustillen, da ich nach einem halben Jahr wieder zurück in die Arbeitswelt musste. Noch heute blutet mir das Herz, wenn ich daran zurück denke und immer wieder, wenn der Magen-Darm-Virus bei ihr hausiert, frage ich mich: Hätte ich sie länger gestillt, wäre sie dann nicht so anfällig? HundertProzent kann ich es natürlich nicht sagen, aber ich sehe einen deutlichen Unterschied im Bezug auf das Immunsystem von meiner 7 Jahre alten Tochter, welche knapp 6 Monate gestillt wurde, und meinem 3 Jahre alten Sohn, der 2 1/2 Jahre Muttermilch zu sich nahm.

Wenn ich zum Hausbesuche fahre und das Thema Stillen auf den Tisch kommt, berate ich nicht nur als Hebamme, sondern auch viel einfach als Mama und Frau. Die Fehler  welche ich in meiner ersten Stillzeit gemacht habe, haben mich für das zweite Mal gelehrt und auch viel für meine Arbeit als Hebamme. Auch das Langzeitstillen hat mich als Hebamme unheimlich viel geprägt und auch ich lernte die Momente kennen in denen man nicht immer nur die Vorteile des Stillen zu spüren bekam. Manch einer fragt sich jetzt sicher: Stillen hat Nachteile? Welche sollten das denn sein?

Ich möchte nicht behaupten, dass Stillen Nachteile hat. Aber es gibt Momente in denen es nicht so leicht ist. Sei es, dass man auch einfach mal wieder Frau sein möchte und seinen Körper für sich haben mag oder aber auch einfach die Blicke und Sprüche anderer Menschen. Und vor allem sind es die Menschen im eigenen näheren Umfeld, dessen Aussagen und Blicke manchmal schmerzhaft sein können. Die Blicke fremder Menschen sind irgendwann an mir abgeprallt, aber nicht die von Freunden oder Familienmitgliedern.

Bei meiner Tochter kannte ich den Begriff "Stillstreik" absolut nicht. Davon hatte ich in meiner Ausbildungs nichts gehört und in der wenigen Praxis, die ich bis dato gesammelt hatte, war mir dieses Phänomen ebenfalls noch nicht beschrieben wurden. Und so machte ich den ersten Fehler. Ich dachte sie möchte meine Brust nicht mehr und ging den Weg das Abpumpens. Erst nur die eine Brust und natürlich verweigerte sie dann irgendwann auch die andere Seite. Somit gab es irgendwann nur noch Muttermilch aus der Flasche. Ich fühlte mich wie eine Kuh, welche regelmäßig gemolken werden musste. Immer mussten Flaschen und Co am Start sein, ich setzte mich unter Druck sowie mal nicht genug Milch kam. Nach und nach kam die Pre-Nahrung dazu, Bauchweh machten uns immer mehr zu schaffen und ich hatte das Gefühl als Mama einfach nur alles falsch zu machen, was man falsch machen kann.

Bei meinem zweiten Kind nahm ich mir vor alles anders und vor allem besser zu machen. Anders habe ich es definitiv gemacht, ob besser kann ich selbst leider nicht beurteilen. Aber ich denke ich habe mich in den meisten Situationen gut geschlagen.

Jonathan kam zur Welt und kaum lag er in meinen Armen, da hatte er nur eines im Sinn - Stillen. In den nächsten achtundvierzig Stunden machten wir fast nichts anderes außer kuscheln und stillen. Es war anstrengend und Kräfte zerren, aber es hatte sich gelohnt. Die Milch schoss ein und es gab nicht einmal den Moment des Zweifelns, dass die Milch nicht reichen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes war ich also eine Milchkuh und hätte mindestens noch zwei andere Kinder mit meiner Milch versorgen können. Aber zu viel Milch kann auch zum Fluch werden. Vor allem wenn es zu einem starken Milchspendereflex kommt.

Ein starker Milchspendereflex bedeutet, dass die Muttermilch so schnell und kraftvoll fließt, dass sie heraustropft oder sprüht. Das Baby könnte nach den ersten Schlucken seinen Kopf von der Brust wegziehen, sich verschlucken oder würgen, denn es kann nicht schnell genug schlucken. Dann könnte der Säugling die Brust verweigern oder weinen. Durch das schnelle und hektische Trinken schluckte unser Zwerg umheimlich viel Luft und somit machten Blähungen unseren Tagesablauf nicht gerade angenehm. Dann kamen Bekannte oder Familienmitglieder mit ganz besonders gut gemeinten Ratschlägen. Der beste von diesen war: Deine Milch taugt nichts, deshalb hat er Bauchweh. Deine Gestille ist Schuld daran. Gib ihm was Anständiges!
Der Satz hatte gesessen, vom allerfeinsten.

Ab diesem Tag schwor ich mir den hilfsbereiten Menschen in meinem nahen Umfeld nur noch die Dinge zu erzählen, die sie hören wollten und umging somit ihre gut gemeinten Ratschläge. Sie sollten ab jetzt in dem Glauben bleiben, dass er natürlich durchschlief, nur alle vier Stunden gestillt wird, das ruhigste und liebste Kind auf der Welt und niemals weinen würde. Ich lebte ab diesem Zeitpunkt ruhiger und mein Mann und ich machten nur noch das, was wir für richtig hielten.

Nach seinem ersten Geburtstag began das Kapitel Kindergarten. Er wurde noch immer gestillt, tagelang wollte er manchmal nichts anderes als seine Milch. Für mich war dies vollkommen ok. Aber die Gedanken, wie es für ihn im Kindergarten werden würde und wenn ich wieder arbeiten gehen werde, brachten das Mamaherz oft zum weinen. Um es für den kleinen Mann leichter zu machen, entschlossen wir uns, dass mein Mann die Eingewöhnung übernehmen sollte. Und das war der richtige Weg. Mit Papa verband er das Thema Stillen nicht, trank und aß wie alle anderen Kinder auch und erlebte jeden Tag mit immer mehr Freude und Neugier.
Kaum zu Hause angekommen, musste jedoch nachgeholt werden, was den bisherigen Tag versäumt wurde. Und wir genossen es, jede einzelne Minute.

In der Arbeitswelt wieder angekommen hatte ich wundervolle Kolleginnen, welche mein Langzeitstillen so gut es ging akzeptierten und vor allem unterstützten. Vom Nachtdienst blieb ich erstmals noch verschont und trotz Personalmangel und vieler Nachtdienste am Stück für die anderen Kolleginnen blieb es mir überlassen zu entscheiden, wann Jonathan und ich bereit für den nächsten Schritt waren. War im Spätdienst der Kreißsaal leer, brachte meine Mann mir abends den Kleinen zum Stillen und eine der Ärzte hielt mir für diese Zeit den Rücken frei. Diese Unterstützung und Hilfe meiner Kolleginnen, ärztlicher Seite sowie der von den Hebammen, werde ich nie vergessen und immer zu schätzen wissen.

Der zweite Geburtstag rückte näher  mittlerweile lief ich wieder alle Schichten mit und wir zwei hatten uns gut an alles gewöhnt und angepasst. Wir genossen diese intensive Zeit zusammen und ich entschloss mich ihn entscheiden zu lassen, wann die Zeit des Abstillens gekommen sei. Ab dieser Zeit wurden die Blicke und Sprüche anderer immer intensiver. Schließlich war er nun definitiv kein Baby mehr und der Anblick war für manch einen alles andere als normal. "Hängt er etwa immer noch ein deiner Brust?", "Willst du nicht endlich mal damit aufhören?", "Ihr solltet langsam aufhören, der Junge ist ja irgendwann total verstört!" ... Diese Sätze und noch viele mehr bekam ich fast täglich zu hören. Und an manch sensiblen Tag brachten mich diese Worte sehr zum Nachdenken, aber mein Mann unterstütze mich in jeglicher Hinsicht und gab mir immer wieder das Gefühl, dass es vollkommen in Ordnung ist und ich das Richtige mache.

Als er zwei einhalb Jahre alt war genossen wir einen wundervollen Urlaub an der Ostsee. In dieser Zeit wendete sich für mich das Blatt schlagartig im Bezug auf das Stillen. Es fing an unheimlich zu schmerzen, meine Brustwarzen waren rot und offen, jedes Anliegen war ein grauen. Allein der Gedanke daran oder das Wort "Milch" ließ mich in Panik geraten. Und trotz dessen, dass wir "heimlich" am Strand stillten, spürte ich die abwertenden und schockierten Blicke der anderen. Mein Mann spürte, dass es mir damit nicht gut ging und die Zeit gekommen war abzustillen. So viele Gefühle durchströmten mich. Einerseits hatte ich den Entschluss gefasst und war überzeugt davon, dass es richtig war. Andererseits fühlte ich mich als die schlechteste Mama auf der Welt. Wie konnte ich ihm das nur antun...
Aber es war richtig. Mit der Unterstützung von meinem Mann gingen wir den Weg und versuchten Stück für Stück den kleinen großen Mann von der Brust zu entwöhnen. Der letzte Urlaubstag war somit der erste Tag für uns. Anfangs lief alles ganz gut und ich fühlte mich mit diesem Entschluss bestätigt. Aber nach ein paar Tagen änderte sich die Lage. Ich hatte das Gefühl meinen Sohn auf eiskalten Entzug gesetzt zu haben, es fühlte sich an als würde er mich dafür hassen. Drei Wochen sollte dieser Zustand anhalten. Oft saß ich, nervlich am Ende und weinend, am Boden und fühlte mich so unendlich schlecht. Was tat ich ihm nur an? Wie konnte ich nur so egoistisch sein? Aber gleichzeitig fühlte ich, wie es mir besser ging, wie ich wieder ich sein konnte. Ohne meinen Mann hätte ich diese Zeit nicht geschafft und hätte sofort wieder nachgegeben und ihn wieder gestillt. Aber wir schafften es. Natürlich kuschelt er auch heute noch mit "seiner Milch". Das möchte ich ihm auch auf keinen Fall verweigern. Er braucht einfach sehr diese Art von Nähe,, erst recht nach einem anstrengenden und aufregenden Kindergartentag. Ist er krank oder stehen Arztbesuche an, gibt ihm dieses Kuscheln ein Gefühl der Sicherheit und Vertrauen.

Eine zeitlang kämpfte ich mit den Gedanken: ich wollte ihm mit dem Stillen was Gutes tun, ihn selbst entscheiden lassen wann es soweit ist aufzuhören - und doch habe ich den Zeitpunkt selbst entschieden. War es falsch ihn so lange zu stillen? Wäre ein Abstillen zu einem früheren Zeitpunkt für ihn leichter und besser gewesen? Ich finde keine Antwort auf all diese Fragen. Aber ich bin davon überzeugt ihm definitiv etwas Gutes getan zu haben. Nicht nur in der Hinsicht darauf, dass er viel weniger krank ist als seine Schwester.

Natürlich gab es auch in unserer Stillzeit Momente an denen ich an meine Grenzen gestoßen bin und mir dachte :"oh nein, ich möchte jetzt einfach nicht!". Und doch war es die schönste Zeit, die mir mein Sohn geschenkt hat.

Ich würde keine Frau verurteilen, die sich gegen das Stillen entscheidet oder nur kurze Zeit stillt. Jedem sollte diese Entscheidung selbst überlassen werden. Und jeder einzelne Tag an dem gestillt wurde, und sei es nur ein einziger Tag, war unheimlich wertvoll für die kleinen Zwerge und das Beste was ihnen passieren konnte. Nicht zu stillen heißt nicht, eine schlechte Mama zu sein. Auf keinen Fall. Genauso bezieht sich das auf die Mamas, die sich für oder gegen das Tragen ihrer Kinder entscheiden. Jede Entscheidung sollte akzeptiert und unterstützt und nicht verurteilt werden.

Die abwertenden Blicke und Sprüche anderer haben mich oft verletzt. Ich habe aus dieser Zeit als Mama, Frau und Hebamme unheimlich viel für das Thema Stillen gelernt.

Liebe Mamas, egal ob Stillende oder Nichtstillende, ob Kurzzeit oder Langzeitstillende, egal welchen Weg ihr gegangen seid und welche Entscheidung ihr für euch persönlich getroffen habt: Bitte schämt euch nicht dafür oder versucht euch zu rechtfertigen. Jede einzelne von euch macht jeden Tag einen wundervollen Job, wofür ihr Respekt und Anerkennung verdient und keine Verachtung. Traut euch und steht dazu!

Unser letzter Urlaubstag und unser letzter Stilltag. Ich habe diese Zeit so sehr genossen und auch wenn die Entscheidung Abzustillen sehr schwer fiel, war es doch die richtige und hat nichts an unserer Bindung geändert. Ich bin dankbar diese Zeit erlebt haben zu dürfen und vor allem aus ihr gelernt zu haben. 


Erzählt mir von euren Erfahrungen zum Thema Stillen oder Abstillen bzw. gar nicht Stillen. Ich bin gespannt. 

Bis dahin passt gut auf euch auf, bleibt gesund, liebt euch, lacht so viel ihr könnt und macht wonach euch auch immer ist - Hauptsache es fühlt sich gut an!

Theresa